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Davos und Klosters

Gipfelerlebnisse in Höhenluft

Europas höchstgelegene Stadt punktet neben dem Wintersporttourismus als Kongressdestination und nicht zuletzt als Kurort

Von Stefan Siegfried

Lettlands Staatspräsidentin hat sie schon herumkutschiert. Dann ist Vaira Vike-Freiberga, wohl etwas müde von den langen Diskussionen auf dem World Economic Forum (WEF) und dem gleichmäßigen Ruckeln der Pferdekutsche, eingeschlafen. „Sie hat ein Nickerchen gemacht und niemand hat sich mehr getraut, etwas zu sagen”, erzählt Menga Stiffler. Ganz still sei sie dann mit der schlafenden Präsidentin und ihrer Eskorte durch die verschneite Berglandschaft gerollt. Im Januar wird die Kutscherin wieder mit ihren beiden Schweizer Militärpferden Galuna und Samba beim WEF dabei sein – ein etwas anderer Shuttle- Express für Politiker, Manager und andere VIPs. Stiffler liebt ihren Beruf, viel an der frischen Luft sei sie, aber vom Kutschenfahren allein könne sie nicht leben. „Viele haben hier oben eine Nebenbeschäftigung”, erzählt sie, sie selbst vermietet drei Doppelzimmer. Am meisten los sei zwischen Januar und März.

Der Wintersaison kommt in der Region um Davos und Klosters traditionell eine große Bedeutung zu, sie dauert hier auf mehr als 1500 Metern über dem Meeresspiegel auch wesentlich länger als die Sommersaison – von Mitte November bis in den April, ja manchmal bis in den Mai. Für Wintersportler – Skifahrer, Snowboarder, Langläufer und Winterwanderer aus aller Welt ist die internationale Kur- und Kongressstadt Davos die Destination schlechthin, die Messlatte für Winterurlaub in der Schweiz.

„Für die kommende Wintersaison sind wir von Weihnachten bis Neujahr bis auf weniges gut ausgebucht”, sagt Tourismus-Chefin Cornelia Lindner, es gebe allerdings eine Tendenz zu kurzfristigeren und spontaneren Buchungen. In der Saison 2007/08 zählte Davos Tourismus insgesamt 870 000 Hotelübernachtungen, davon entfielen auf den Kongresstourismus circa 13 Prozent – ein Rekordjahr für den gesamten Schweizer Tourismus. Im vergangenen Jahr gab es einen leichten Rückgang um 1,35 Prozent.

Die Finanzkrise habe man vor allem am Ausbleiben mancher ausländischer Gäste bemerkt, erklärt Lindner, so kamen im vergangenen Jahr weniger Briten, dafür mehr Schweizer ins Landwassertal. Traditionell beliebt ist Davos bei den Deutschen. Das ist schon so, seitdem die ersten Wintergäste 1865 zu dem deutschen Arzt Alexander Spengler zur Höhenkur kamen. Spengler, der in Deutschland an der März- Revolution 1848 beteiligt war und deshalb in die Schweiz emigrieren musste, begründete den Ruf des Bündner Dorfes als Kurort.

Gegenwärtig spürt Davos also, wenngleich moderat, die Folgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise: Großprojekte wie der Bau eines von Herzog & de Meuron entworfenen Hotelturms auf der Schatzalp wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, auch der Bau des Fünf-Sterne- Plus-Hotels Intercontinental Davos Resort & Spa verzögert sich. Der abgelaufene Sommer knüpfe aber wieder an das Rekordjahr 2008 an, sagt Lindner, auch dank der Kongresse.

Im Jahr 2008 lag Europas höchstgelegene Stadt bei den Besucherzahlen sogar noch leicht vor Zermatt, deutlich vor St. Moritz, der Jungfrau- Region und dem Adelboden. „Dieses Jahr ist schwierig. Wir wissen nicht so recht, was auf uns zukommt”, sagt Britta Schnewlin von der Davos Klosters Bergbahnen AG. Die Buchungen in den Hotels seien nicht schlecht. Dass die Zahl der Eintritte auf den Skipisten im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen sei, könne auch am schlechten Wetter im Februar und März gelegen haben. Wenn das Wetter am Wochenende schlecht ist, komme auch niemand aus Zürich hier hoch.

Traditionell gut ausgelastet sind die großen Skigebiete Parsenn und das Jakobshorn, die kleineren wie Madrisa, Pischa und Rinerhorn stehen da ein bisschen im Schatten. Problemkind sei die Pischa, weil sie isoliert liege. Dies soll sich nun ändern mit dem neu eingerichteten Freeride-Gelände. Ausgerechnet die kleinen Skigebiete bekommen diesen Winter neue Konkurrenz. In zentraler Lage eröffnet das traditionelle Skigebiet Schatzalp/Strela wieder. Der Hausberg der Davoser ist allerdings nicht im Verbund der Bergbahnen, die Bergbahnvereinigung ist wenig erfreut über die neue Konkurrenz.

Für die gesamte Schweiz erwarten die Konjunkturforscher von BAK Basel Economics für die kommende Wintersaison einen Rückgang von 3,7 Prozent bei den Hotelübernachtungen gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Übernachtungen dürfte sich aber für das gesamte Jahr 2009 immer noch auf knapp 34,8 Millionen belaufen. „Damit ist man immer noch auf einem ansprechenden Niveau”, sagt Christian Hunziker vom BAK. Eine nachhaltige Erholung prognostizieren die Forscher aber erst für Ende 2010.

„Davos lässt sich nur schwer mit anderen Skiorten wie St. Moritz oder Zermatt vergleichen”, sagt Lindner, „weil es eine Stadt ist und es hier ein größeres Angebot gibt. Davos ist auch nicht nur ein Ziel für die ganz Reichen, sondern für alle.” Der Tourismus und die Kongresse prägen die Stadt, aber auch Forschungseinrichtungen wie das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung und die Kurgäste, wenn auch nicht mehr in dem Maße wie noch vor hundert Jahren.

Die beste Zeit fürs Skifahren sei übrigens Ende Januar, in der Woche, in der das WEF tagt, sagt Lindner. Die Staatsmänner und -frauen verirrten sich kaum in die Berge, manche machen ja lieber ein Schläfchen in einer Pferdekutsche.

Süddeutsche Zeitung, Graubünden, 12.11.2009