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Warum in der Wirtschaft manche von einem Fachkräftemangel sprechen, andere nur von Engpässen

Von Stefan Siegfried

„In den Ingenieursberufen herrscht ein Jugendkult”, sagt Franziska Schreyer vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Die Diskussion über den Ingenieursmangel in Deutschland findet sie „übertrieben”. Eine Studie, die das IAB im September vorgestellt hat und deren Co-Autorin Schreyer ist, kommt zu dem Schluss, dass derzeit in Deutschland zumindest kein flächendeckender Ingenieursmangel zu beobachten sei, sondern lediglich Engpässe in bestimmten Ingenieursberufen.

Die Forscher warnen zwar vor einem Akademikermangel, der mittelfristig aufgrund der demographischen Entwicklung immer wahrscheinlicher wird und auch technische Berufe betreffen wird. „Doch man bekommt in der öffentlichen Diskussion den Eindruck, dass der Arbeitsmarkt leergefegt sei, wovon bei insgesamt 23 000 arbeitslosen Ingenieuren nicht die Rede sein könne. Engpässe seien lediglich bei drei Ingenieursberufen zu erkennen: bei Maschinenbauern, Elektrotechnikern und Wirtschaftsingenieuren. Doch allein in den ersten beiden Gruppen gebe es immer noch 9000 arbeitslos gemeldete Ingenieure, nur seien diese eben oft älter oder weiblich.

„Die Unternehmen müssen ihre Rekrutierungskultur überdenken. Den Ingenieursmangel schaffen sie sich zumindest zum Teil selbst”, kritisiert Schreyer. Derzeit, so heißt es in der IAB-Studie, scheint „allenfalls ein Mangel an jungen männlichen Ingenieuren bestimmter Fachrichtungen zu bestehen”. In eine ähnliche Richtung zielt auch die Kritik des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der die Wirtschaft zu einer verstärkten Qualifizierung und Weiterbildung von Jugendlichen und Älteren, gerade im Ingenieurwesen, aufgefordert hat.

Dass man das Ganze auf der Ebene der Branchenverbände etwas anders sieht, ist naheliegend, gehört es doch zu deren vordringlichsten Aufgaben, für eine große Auswahl bei der Besetzung offener Stellen zu sorgen. Allein im Maschinen- und Anlagenbau fehlen nach einer Umfrage des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) derzeit bis zu 9000 Ingenieure und Tausende Facharbeiter. „Auch wenn es in bestimmten Bereichen keinen Mangel gibt, bestätigt die Studie des IAB ja, dass die Situation angespannt ist”, kontert Susanne Krebs, Volkswirtin beim VDMA. Seit Februar dieses Jahres gebe es in der Berufsgruppe Maschinen- und Fahrzeugbau mehr gemeldete offene Stellen als Arbeitslose. Das Problem der Arbeitslosigkeit lasse sich oftmals nicht lösen, weil die Qualifikation eines Arbeitnehmers nicht auf die ausgeschrieben Stelle passe oder weil Wohnort und Arbeitsplatz unvereinbar seien. Die 9000 Vakanzen, die der VDMA verkündet hat, sind akute Stellen, die aufgrund des konjunkturellen Aufschwungs im Moment offen seien, und die auch nicht durch steigenden Absolventenzahlen im Maschinenbau gedeckt werden könnten. Wie viel kritische Vakanzen darunter seien, also Jobs, die länger als sechs Monate nicht besetzt werden können, lasse sich nicht sagen.

„Grundsätzlich muss man mit Äußerungen, wie ,der Markt ist leergefegt‘ oder ,Jugendwahn‘ äußerst kritisch umgehen”, wendet Stefan Eichholz ein, verantwortlich für Vertrieb und Marketing bei Ferchau Engineering in Gummersbach. Der Ingenieur-Dienstleister ist in diesem Jahr um 600 Mitarbeiter gewachsen. Dass man bei der Personalsuche auch auf ältere Ingenieure zurückgreift, lasse sich daran ablesen, dass in den vergangenen vier Jahren das Durchschnittsalter im Unternehmen um fünf Jahre gestiegen sei.„Das liegt daran, dass wir die Erfahrung der Älteren brauchen, aber auch daran, dass es einfach zu wenige gut ausgebildete junge Ingenieure gebe”, erklärt Eichholz. Die Älteren werden zu wenig gefördert. „Wenn wir einen Anlagenbauer mit 55 Jahren einstellen und ihn dann drei Monate in den neuesten Computer-Aided-Design-Programmen schulen lassen, kostet das im Durchschnitt 10.000 Euro. Das können wir uns nicht immer leisten.” Darüber hinaus seien heute hochqualifizierte Experten gefragt, zum Beispiel Mikromechaniker oder Experten im Sondermaschinenbau. „Der Teich ist groß, und es sind Fische drin, aber es sind zu wenige Fische”, sagt Eichholz.

Dass durch die Diskussion ein Schweinezyklus entstehe, befürchtet man weder beim VDMA noch bei dem IAB. Zu einzelnen Studiengänge könne man keine Prognosen abgeben, erklärt Schreyer vom IAB, doch die Aussichten seien aufgrund der demographischen Entwicklung in bestimmten Berufen auch mittel- und langfristig gut.

Süddeutsche Zeitung, Ingenieure, 10.11.2007